Prof. Dr. Wolfgang Wild hielt auf dem 5. Bildungspolitischen Forum des BFW (Bund Freiheit der Wissenschaft e. V.) einen Vortrag über das Thema
Die Auswirkungen des grün-alternativen Wissenschaftsverständnisses auf die Forschung
(veröffentlicht in: Freiheit der Wissenschaft, Nr. 3, März 1986).

Bei der Behandlung der Themen:

  • 1. ”Wider den Methodenzwang”, Paul Feierabends Skizze einer anarchistischen Erkenntnistheorie,
  • 2. ”Erkenntnisse und Interesse”, Jürgen Habermas und die These von der unauflöslichen Verquickung von Erkenntnis und gesellschaftlichen Interessen,
  • 3. ”Das Prinzip Verantwortung”, Hans Jonas und die Forderung nach einer Selbstbeschränkung der Wissenschaft,
  • 4. ”Die Rückkehr zum menschlichen Maß”, E. F. Schumacher und das Konzept einer sanften Technologie.
kommt Wild unter anderem zu folgenden, für die Beurteilung der jetzigen Situation in den Wissenschaften so wichtigen Aussagen (Zitate):
 
”Die Macht der Naturwissenschaften beruht auf ihrer Wahrheit”.
”Die Wissenschaft hat in den Augen der Öffentlichkeit ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt. 


Der Mann auf der Straße ist heute davon überzeugt, daß man bei jedem Problem für jede Auffassung einen Wissenschaftler gewinnen kann, der sich die gewünschte Auffassung zu eigen macht und sie mit Verve und im Brustton der Überzeugung vertritt. 

Noch schlimmer als dieser Prestigeverlust der Wissenschaft aber ist die allgemeine Unsicherheit, die sich ausgebreitet hat. Der Laie – und auch fast alle Politiker sind in diesem Sinne Laien – weiß, wenn zwei Experten entgegengesetzte Meinungen vertreten, im allgemeinen nicht, wem er glauben soll. Er wird sich oft für die Ansicht entscheiden, die rhetorisch überzeugender vorgetragen wird, oder die seinen Überzeugungen näher steht; noch häufiger wird er eine anstehende Entscheidung hinausschieben mit dem Argument, die Wissenschaft sei sich in der betreffenden Angelegenheit noch nicht entscheidungsreif. 

In Wirklichkeit aber ist in vielen Fällen die Sachlage völlig klar und durch unzweideutige Fakten belegbar; der Dissens kommt nur dadurch zustande, daß der sogenannte ”Experte” der einen Partei von der Sache nichts versteht oder – vor sich selbst legitimiert durch sein Engagement für ein vermeintlich höheres Ziel – bewußt die Wahrheit verschleiert. 

Ich meine, daß diese Situation unerträglich geworden ist und daß die Wissenschaftler in ihrem ureigensten Interesse handeln, wenn sie von der Konfrontationsstrategie abrücken. Wo der Wissenschaftler als Wissenschaftler gefordert ist, muß er sich an das Ethos der Wissenschaft binden und alle anderen Rücksichten und Bindungen demgegenüber zurückstellen. Wenn ein Wissenschaftler befürchtet, daß eine Sachaussage politische Wirkungen haben kann, die er nicht wünscht oder die er sogar für verderblich oder moralisch inakzeptabel hält, dann kann er die Aussage verweigern, aber er darf objektiv unstreitige Sachverhalte nicht verfälschen oder manipulieren. Denn das Ethos der Wissenschaft fordert, daß das Bekenntnis zur Wahrheit allen, aber auch wirklich allen anderen Rücksichten überzuordnen ist”. 

Weiter sagt Wild:
”Bei aller historisch oder sonstwie bedingten Einkleidung muß in den Naturgesetzen ein unbestreitbarer Wahrheitskern enthalten sein. Die Verpflichtung auf das Bekenntnis zur Wahrheit und auf das Bemühen um Unvoreingenommenheit ist deshalb sinnvoll und gerechtfertigt. Wir erreichen zwar die volle Objektivität niemals, aber wir können uns um sie bemühen und wir können ihr nahekommen”. 

”Ich meine, daß wir Wissenschaftler uns auf diese ethische Grundlage unseres Handelns wieder stärker besinnen müssen. Man fordert heute mit Recht eine Ethik der Technik, die uns die Grenzen aufzeigt, die dem Machbaren zu ziehen sind. Wir werden aber schwerlich eine Ethik verantwortlichen Handelns entwickeln können, wenn wir uns nicht auf die Wahrheit verpflichten und wenn wir der Forderung wissenschaftlicher Redlichkeit zuwiderhandeln. Der Zweck hat noch nie die Mittel geheiligt und das Mittel der Manipulation der Wahrheit am allerwenigsten. Bemühen wir uns also um Sachlichkeit, Aufrichtigkeit, Redlichkeit und prüfen wir uns selbstkritisch, ob unsere Aussagen wirklich durch Fakten fundiert sind und nicht aus Vorurteilen entspringen. Wenn wir so handeln, dann wird es zwar noch immer richtige und falsche Aussagen geben, aber die Beeinträchtigung der Glaubwürdigkeit durch eine willentliche Verschleierung, Verstümmelung oder gar Verfälschung der Wahrheit, dieses Problems, das heute die Atmosphäre vergiftet und das Ansehen der Wissenschaft zu ruinieren droht, wird seine Brisanz einbüßen und hoffentlich sogar gänzlich verschwinden”. 
 

”Die etablierte Wissenschaft gilt nicht länger als eine Institution, die objektiv gültige Erkenntnis zu Tage fördert, sondern als ein Instrument zur Durchsetzung von Interessen der herrschenden Klasse, sie ist in den Streit der Parteien hineingezogen worden.”


Schlußbemerkung
Diesen Äußerungen ist nichts hinzu zu fügen. Die Praxis heutiger “Wissenschaft” belegt, daß
 

  • 1)  von den hehren Zielen verantwortungsvollen Handelns in der Wissenschaft sehr stark abgewichen wird und
  • 2)  die negative Wertung der Wissenschaft voll zutrifft. 


Das Bauen betritt Irrwege, die Bauphysik befindet sich in der Sackgasse. Mit der These der ”Pluralität der Meinungen” nistet sich Lug und Trug überall ein. Die Baconsche Aufforderung zur Verwirklichung ”nützlicher” Wissenschaft wird konsequent in eigenem Sinne umgesetzt – von Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Administration. DIN mischt kräftig mit. Die einen sind naiv und unwissend genug, daß sie das, was sie da von sich geben, selbst alles glauben, die anderen sind raffiniert und trickreich genug, bei diesem Treiben genügend abzuschöpfen und dabei treuherzig den Biedermann zu mimen. Die Wissenden und Sachkompetenten jedoch werden eliminiert – sie stören nur. 

Die reale Welt des Seins wird ersetzt durch die virtuelle Welt des Scheins. Wissenschaft baut eine pseudowissenschaftliche Märchenwelt auf, die gläubig akzeptiert werden soll. Eloquente Rhetorik vernebelt die Wirklichkeit. Das (manipulierte) Geschäft steht im Vordergrund. Die Tyrannei der Meinungsbildung nimmt immer schlimmere Formen an. Nicht Wissen, sondern ideologische Bekenntnisse sind gefragt. Werden Aussagen widerlegt, erfährt der Kritisierende Beleidigungen und Schmähungen, zumindest aber ignorante Verachtung. 

Kritiker und ”Abweichler” werden sondiert, sortiert, selektiert, isoliert. Ausspruch eines Diplomanden: ”Ich entschuldige mich für meine naive (Wahn-)Vorstellung, ich könne meine Professoren überzeugen. Für meine Diplomarbeit werde ich wohl oder übel entweder total umdisponieren oder lügen müssen”. Dies bezeugt fehlende Einsicht. Es werden Glaubenssätze verbreitet – analog der Scholastik im Mittelalter. Mit Wissenschaft hat dies alles nichts zu tun. 

Hubert Markl sagte in einem Vortrag auf der EXPO in Hannover: ”Lügen und Betrug seien integrale Bestandteile des Forschens”. Wenn im Spiegel vom 23. Febr. 2001 zu lesen steht: ”Der akademische Anstand steht an vielen deutschen Unis nicht mehr sehr hoch im Kurs. Republikweit wird gelogen, betrogen, geschludert und getrickst”, dann ist dies reale Wirklichkeit. 

Nicht umsonst sagt di Trochio in seinem Buch ”Der große Schwindel, Betrug und Fälschung in der Wissenschaft”: ”..., daß die enorme Ausdehnung der Wissenschaft zur Vorherrschaft mittelmäßiger Wissenschaftler über ihre hochgradig kreativen Kollegen führte". Dies hat natürlich Folgen. Auf Eliten ist kein Verlaß mehr. So heißt es bei Hubert Markl: ”Da Eliten gesellschaftliche Vorrechtsrollen sind, ziehen sie nicht nur Leistungsträger, sondern auch Schmarotzer an. Daher tut jede Gesellschaft gut daran, ständig zu überprüfen, ob die, die in bevorzugte Stellungen gekommen sind, dort wirklich und immer noch hingehören”. 

In dieser Frage besteht wohlbegründeter Handlungsbedarf. 

Prof. Dr.-Ing. Claus Meier U
Architekt SRL, BayAK
Nürnberg

 

10.09.2001