In Memoriam
PROF.
DR. - ING.
habil. CLAUS MEIER
Architekt SRL, BayAK
Nürnberg
Baukultur und das Bauen
Es wird viel über Baukultur diskutiert, das Bauministerium startet
die Aktion ”Initiative Architektur und Baukultur”, Kultur ist in aller
Munde. Es verdichtet sich die Vermutung, je weniger von den Dingen vorhandenen
ist, desto mehr wird darüber geredet. Kultur ist immerhin die Essenz
zwischenmenschlicher Beziehungen. Das Zusammenleben kann aber nur erfolgreich
gestaltet werden, wenn klare Werte die Handlungen und das Verhalten steuern.
Unterscheidungen von gut und böse oder richtig und falsch sind dabei
nicht nur unumgänglich, sondern ein Gebot des Menschlichen. Mit dieser
Grundaussage wäre die Basis des Miteinander fixiert.
Kehrt man von den geistigen Höhenflügen kulturphilosophischer
Erörterngen zurück auf den harten Boden der Realität, dann
ist beim Bauen von diesen hehren Zielen wenig zu spüren. Wissenschaft
und Technik werden als die Leitwölfe des Fortschritts gesehen. Diese
Parts des Bauens übernimmt zunehmend die Bauphysik. Werden bei diesen
Aktivitäten aber nun auch die richtigen Weichen gestellt?
Hubert Markl, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft und ehemals
auch Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, stellt hierfür
Thesen auf:
1. Wissenschaft ist eine Tätigkeit, die nachprüfbare
Erkenntnisse über die Wirklichkeit hervorbringt.
2. Gegenüber bloßer Meinung oder dem Glauben aus Hörensagen
muß sich eine Be-hauptung von wissenschaftlichem Anspruch dadurch
auszeichnen, daß sie sich erstens überprüfen läßt
und daß sie zweitens solch kritischen Überprüfungen standhält.
3. Herzhaft geäußerte Überzeugung, auch Hinweis auf
bedeutende Meister, die sie teilen, oder auf überlieferte Lehrtexte
(und sei es deren 23. Auflage) mag eine Feststellung bedenkenswert, auch,
je nach dem, wer sie macht, vertrauenswürdig machen, mehr aber nicht.
Bekenntnis begründet in der Wissenschaft keine Erkenntnis.
4. Die intellektuelle Respektlosigkeit in der Wissenschaft, zu der wir
unsere Studenten erziehen müssen, ist der alleinige Garant dafür,
daß Fehler ausgemerzt, Betrug durch-schaut, Schlampigkeit korrigiert
werden können.
5. Die Wissenschaft ist ein durch und durch selbstbezüglich verbundener
Gemeinbesitz der ganzen Menschheit und daher auch für jeden einzelnen
zu schwierig; zu schwierig auch, sie durch herostratischen Unfug zu gefährden.
Diese Thesen scheinen für die angewandte Bauphysik zweitrangig zu
sein, denn die verkündeten wissenschaftlichen Grundlagen des Bauens
stimmen nicht mehr. Die Bauphysik versteht es, das Rad der Wissenschaft
wieder zurück zu drehen. Desinformation und die damit verbundene Desorientierung
führen zu falschen Vorstellungen, wie humanes Bauen, wie Baukultur
in situ eigentlich auszusehen hat. Bautechnische Irrungen und Wirrungen,
Fehldeutungen und Manipulationen bestimmen die Inhalte.
Klimakatastrophe
Wegen der bevorstehenden Klimakatastrophe müsse CO2 reduziert
und Energie eingespart werden. Diese Begründung ist irreführend
und stammt aus der ideologischen Trickkiste. Die seit Urzeiten vorliegende
Wellenbewegung der Temperatur hängt von den Sonnenflecken ab, nicht
aber vom CO2-Gehalt der Atmosphäre. Die herbeigeredete Klimakatastrophe
wird damit zwar zur Fata-Morgana, ist jedoch sehr vorteilhaft, Geschäfte
gedeihen zu lassen.
Umweltschutz
Dieser konzentriert sich hauptsächlich auf die CO2-Reduzierung.
Da dies jedoch am Klima nichts ändert, wird mit der ”Klimakatastrophe”
auch der Umweltschutzgedanke, so wichtig dieser auch ist, arg mißbraucht.
Die Begründung für energiesparendes Bauen mit ihren bautechnischen
Auswüchsen wird damit hinfällig. Allerdings kann mit dieser Kampagne
von den wirklichen Umweltsünden abgelenkt werden, denn was gewinnsüchtige
Manager auf diesem Gebiet leisten, ist globaler Raubbau an der Natur.
Humane Strahlung
Strahlung ist uns durch die Sonne geläufig. Diese Form des Energietransportes
hat gewaltige Vorteile. Strahlung erwärmt keine Luft, bei massiven
Stoffen wandelt sie sich durch Absorption in Wärme um. Die kurzwellige
Solarstrahlung durchdringt normales Glas, die langwellige Wärmestrahlung
wird jedoch zurückgehalten. Eine Strahlungsheizung benötigt somit
keine Wärmeschutzgläser, ermöglicht niedrige Raumlufttemperaturen
(energiesparend) und vermeidet Schimmelpilzbildung. Diese hervorragenden
Eigenschaften werden jedoch konsequent verschwiegen - im Gegenteil: Die
üblich gewordene Konvektionsheizung bedingt sogar genau das Gegenteil
– eine widersinnige Heiztechnik wird protegiert.
Thermografie
Die physikalische Fehldeutung der Strahlung führt auch zu fehlerhaften
Schlußfolgerungen bei der Thermografie. Die Infrarot-Kamera mißt
lediglich Oberflächentemperaturen. Kolportiert wird mit einer hohen
Oberflächentemperatur aber ein hoher Wärmedurchgang, also eine
”schlechte” Dämmung. Einer Temperatur kann jedoch nie Richtung und
Größe eines Wärmestromes entnommen werden. Somit wird eine
höhere Oberflächentemperatur meist falsch gedeutet. Gerade bei
massiven Altbauten rührt die hohe Temperatur von der Absorption her,
außen von der Solarstrahlung, innen von der Strahlungsheizung.
Wärmeschutz
Der notwendige Wärmeschutz beschränkt sich irrenderweise
ausschließlich auf die Dämmung, das Maß hierfür ist
der U-Wert (k-Wert) mit der Wärmeleitfähigkeit. Die Speicherung
dagegen wird konsequent negiert. Das Maß hierfür sind die Temperaturleitfähigkeit
und der Wärmeeindringkoeffizient. Gerade der Altbau wird dadurch benachteiligt.
Der U-Wert gilt auch nur für den Beharrungszustand. Dies bedeutet
keine
Nutzung der Solarenergie, speicherloses Material und konstante Wärmestromdichte.
Man glaubt in naiver Verblendung tatsächlich, was innen hineingeht,
muß außen auch wieder hinausgehen. Irrtum, denn alle drei Bedingungen
treffen in der Realität nicht zu; bei Temperaturänderungen liegt
immer ein Speichereffekt vor, gerade beim Altbau. Alles ”Rechnen” mit dem
U-Wert ist somit fehlerhaft – nachweisbar und nachvollziehbar.
Feuchteschutz
Schimmelhäuser gehören bereits zum Alltag. Algenbildung bei
WDV-Systemen infolge ungenügender Wärmespeicherfähigkeit
treten verstärkt auf. Durchfeuchtete Dämmungen und verfaulte
Holzkonstruktionen bei ”NE-Häusern” mehren sich. Eine gute Konstruktion
muß jedoch nicht nur die Wasserdampfdiffusion, sondern auch die Sorptionseigenschaften,
besonders den kapillaren Feuchtetransport gewährleisten. Dichtere
Schichten, Folien und Dampfbremsen verhindern dies. Luftumspülte Holzkonstruktionen
waren einmal Stand der Technik – heutzutage wird alles ”luftgedichtet”;
Feuchteschäden und zerstörte Hölzer sind die Folge.
Schallschutz
Die schalltechnischen Gesetze heißen Masse und bei einem Masse-Feder-Masse-System
eine weiche Feder durch großen Abstand beider Massen. Beide Gesetze
werden konsequent mißachtet – die Wand ist zu leicht, der Fensterscheibenabstand
zu gering. Die Folge ist ein schlechter Schallschutz. Geräuschbelästigungen
bis hin zu Gehörschäden sind nicht zu vermeiden. Schwere Wände
und Kastenfenster sind deshalb ein Gebot der Stunde.
Wirtschaftlichkeit
Das im Energieeinsparungsgesetz enthaltene Wirtschaftlichkeitsgebot
wird permanent übertreten. Geforderte ”Superdämmungen” mit kleinen
U-Werten sind wegen der Hyperbel-Tragik unwirtschaftlich und damit gesetzwidrig.
Um dies zu verschleiern, werden in manipulativ/suggestiver Absicht Milchmädchenrechnungen
vorgelegt, die mit den finanzmathematischen Grundlagen einer dynamischen
Investitionsrechnung nicht vereinbar sind. Die Täuschung des Kunden
ist die Folge – er investiert energetisch nutzlos und durch den Dämmstoffeinbau
auch bauschadensträchtig.
DIN-Vorschriften
Diese bauphysikalisch/technischen Widersprüche und Fehler werden
in DIN-Vorschriften nun festgeschrieben. Dies ist nicht verwunderlich,
denn erstens ist DIN ein Instrument der Wirtschaft und zweitens sind es
nur Empfehlungen. ”Bei Anwendung handelt jeder auf eigene Gefahr”, das
sagt DIN selber. Wer sich in bautechnischen Fragen auf DIN stützt,
kann Überraschungen erleben - es sei denn, zur Rechtfertigung von
gemachten bautechnischen Fehlern beruft man sich auf DIN, um dem Schadenersatz
nach BGB eventuell zu entkommen. Juristisch gesehen bedeutet dies eine
völlig verfahrene Situation.
Wärmeschutzverordnung
Bei den inhaltlichen und methodischen Fehlern der ”angewandten Bauphysik”
kann dann natürlich auch die Wärmeschutzverordnung nicht stimmen.
Unwirtschaftlichkeit und Fehlerhaftigkeit werden somit zum Standard neuzeitlichen
Bauens. Makaber wird es, wenn nun die Einhaltung dieser Verordnung mit
der Verpflichtung der Bundesregierung, CO2 einzusparen, begründet
wird. Verfahrener und widersprüchlicher kann die Bausituation nicht
sein.
Energieeinsparverordnung
Die Krönung dieser Fehlentwicklung ist die EnEV, die sich auf
die DIN EN 832 ”Berechnung des Heizenergiebedarfs” stützt. Die darin
enthaltenen Berechnungsfehler werden sogar im Anhang L eingeräumt
und sanktioniert, wenn ein Endergebnis mit einer Streuung von ±43,3%
präsentiert wird. Verantwortungsloser kann sich Ingenieursdenken nicht
manifestieren, Berechnungen von ”Energieberatern” gehören deshalb
in den Papierkorb.
Juristische Würdigung
Diese Sachverhalte tangieren das Strafgesetzbuch. Im § 263 ”Betrug”
heißt es: ”(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen
rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen
eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung
falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen
einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu
fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft”. Hier haben dann die Richter
zu entscheiden und es gibt Urteile, die dieses Dilemma höchstrichterlich
bestätigen. Sachlich ist alles klar, doch welcher Staatsanwalt wird
bei einer Strafanzeige dieses heiße Eisen anpacken?
Folgerungen
Das Bauen betritt Irrwege, die Bauphysik befindet sich in der Sackgasse.
Mit der These der ”Pluralität der Meinungen” nistet sich Lug und Trug
überall ein. Die Baconsche Aufforderung zur Verwirklichung ”nützlicher”
Wissenschaft wird konsequent in eigenem Sinne umgesetzt – von Politik,
Wissenschaft, Wirtschaft und Administration. DIN mischt kräftig mit.
Die einen sind naiv und unwissend genug, daß sie das, was sie da
von sich geben, selbst alles glauben, die anderen sind raffiniert und trickreich
genug, bei diesem Treiben zur Genüge abzuschöpfen und dabei treuherzig
den Biedermann zu mimen. Die Wissenden und Sachkompetenten jedoch werden
eliminiert – sie stören nur.
Die reale Welt des Seins wird ersetzt durch die virtuelle Welt des Scheins.
Wissenschaft baut eine pseudowissenschaftliche Märchenwelt auf, die
gläubig akzeptiert werden soll. Eloquente Rhetorik vernebelt die Wirklichkeit.
Das (manipulierte) Geschäft steht im Vordergrund. Die Tyrannei der
Meinungsbildung nimmt immer schlimmere Formen an. Nicht Wissen, sondern
ideologische Bekenntnisse sind gefragt. Werden Aussagen widerlegt, erfährt
der Kritisierende Beleidigungen und Schmähungen, zumindest aber ignorante
Verachtung.
Kritiker und ”Abweichler” werden sondiert, sortiert, selektiert, isoliert.
Ausspruch eines Di-plomanden: ”Ich entschuldige mich für meine naive
(Wahn-) Vorstellung, ich könne meine Professoren überzeugen.
Für meine Diplomarbeit werde ich wohl oder übel entweder total
umdisponieren oder lügen müssen”. Dies bezeugt fehlende Einsicht.
Es werden Glaubenssätze verbreitet – analog der Scholastik im Mittelalter.
Mit Wissenschaft hat dies alles nichts zu tun.
Hubert Markl sagte in einem Vortrag auf der EXPO in Hannover: ”Lügen
und Betrug seien integrale Bestandteile des Forschens”. Wenn im Spiegel
vom 23. Febr. 2001 zu lesen steht: ”Der akademische Anstand steht an vielen
deutschen Unis nicht mehr sehr hoch im Kurs. Republikweit wird gelogen,
betrogen, geschludert und getrickst”, dann ist dies reale Wirk-lichkeit.
Nicht umsonst sagt di Trochio in seinem Buch ”Der große Schwindel,
Betrug und Fälschung in der Wissenschaft”: ”..., daß die enorme
Ausdehnung der Wissenschaft zur Vorherrschaft mittelmäßiger
Wissenschaftler über ihre hochgradig kreativen Kollegen führte".
Dies hat natürlich Folgen. Auf Eliten ist kein Verlaß mehr.
So heißt es bei Hubert Markl: ”Da Eliten gesellschaftliche Vorrechtsrollen
sind, ziehen sie nicht nur Leistungsträger, sondern auch Schmarotzer
an. Daher tut jede Gesellschaft gut daran, ständig zu überprüfen,
ob die, die in bevorzugte Stellungen gekommen sind, dort wirklich und immer
noch hingehören”. In dieser Frage besteht wohlbegründeter Handlungsbedarf.
Schlußbemerkung
Das praktizierte Bauen vor Ort kann sich weniger mit geisteswissenschaftlichen
Überlegungen zur Baukultur, sondern muß sich mit den realen
Randbedingungen baukultureller Empfehlungen und Verordnungen auseinanderzusetzen
– und die sind verdammt schlecht. Wenn Erkenntnisse der Vergangenheit vergessen
und stattdessen dubiose Richtlinien und Vorschriften offeriert werden,
dann führt dies zu einem produzierten bautechnischen Chaos. Das Märchen
”Des Kaisers neue Kleider” wird zur traurigen Wirklichkeit. Es wird mehr
falsch als richtig gemacht; die Bauten sind die Leidtragenden, die tagtägliche
Praxis des Bauens beweist es.
Dieses Durcheinander beim Bauen kann nur durch eine umfassende und rückhaltlose
Aufklärung der technisch/wissenschaftlichen Zusammenhänge überwunden
werden. Dabei ist jedoch ein Phänomen erkennbar: Offizielle Information
wird zur Informationsschwemme, ja sogar zum Informationsmüll; dies
klärt weniger auf, sondern verwirrt (beabsichtigt?).
Postman zieht in seinem Buch: ”Die zweite Aufklärung” den
Schluß: ”Man sollte aus dem Geschäft mit der Information aussteigen
und sich im Geschäft mit dem Wissen engagieren. Wer über Wissen
verfügt, weiß, wie er Informationen einzuschätzen hat,
... und vor allem weiß er, wenn Informationen irrelevant sind". Naturgesetze
und die Logik bilden für diese Beurteilung die Grundlagen. Das Internet
kann hier helfen und ist eine dankbare Waffe. Bäume wachsen nicht
in den Himmel. Wann endlich kann sich das Bauen auf bewährte Grundlagen,
auf schon lange herauskristallisiertes Erfahrungswissen stützen? Wann
endlich wird die bautechnische Vergeßlichkeit überwunden?
Gerade im praktischen Gebrauch zeigt sich, inwieweit die viel diskutierte
Baukultur gepflegt und praktiziert wird. Die bautechnische Entwicklung
der letzten Jahrzehnte allerdings läßt sich mit Kultur nicht
vereinbaren. Der praktizierende Architekt steht dem staunend und kopfschüttelnd
gegenüber.
Wenn über Baukultur nachgedacht werden soll, dann muß auch
über die moralische Krise in der Gesellschaft, über Korruption,
Inkompetenz und Machtmißbrauch gesprochen werden. Gewinnmaximierung,
shareholder value und Geldsucht gehören ebenfalls nicht zur Baukultur.
Vielleicht ist es für viele besonders wohltuend, angesichts von Lug
und Trug beim Bauen nun trotzdem über Baukultur zu räsonieren.
Dieses Manuskript wurde am 10. Sept. 2001 an das “Deutsche Architektenblatt”
geschickt.
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