Auf dem Symposium des VBN und BVS ”Energieeinsparverordnung”
am 14. Dez. 2002 in Hannover referierte Prof. Gertis über ”Dämmen
wir uns krank? Werden Energieeinsparung und Schimmelpilz sachlich diskutiert?”
Dabei ging er auch auf die Veröffentlichungen [1] und [2] ein, die in
der Fachwelt hohe Wellen schlugen. Die etablierte Bauphysik-Szene war entrüstet,
die verarbeitende Dämmindustrie schockiert, man widersprach.
Hier die wichtigsten Aussagen aus [1] und [2]:
-
Der Tagesrhythmus ist geprägt von ständigen
Temperaturveränderungen, sowohl der Luft- als auch der Oberflächentemperaturen
infolge absorbierter Solarenergie.
-
Die Behaglichkeit im Innenraum erfordert die Speicherfähigkeit
der verwendeten Materialien und damit die notwendige Temperaturstabilität
der Außenhülle.
-
Maßgebend ist nicht die stets im Vordergrund stehende
Wärmeleitfähigkeit l, sondern die Temperaturleitfähigkeit
a, das Speichervermögen Qs und der Wärmeeindringkoeffizent b, um
günstige Raumklimaverhältnisse zu schaffen.
-
Für die Außenwand eigenen sich besonders schwere Massivziegel und Massivholz.
- Wärmedämmstoffe sind dagegen sehr empfindlich gegenüber
Temperaturveränderungen, sie besitzen wegen fehlender Speicherfähigkeit
keine Temperaturstabilität.
-
Der U-Wert, der bei Dämmstoffen besonders “günstig”
ausfällt und bei allen Energiebedarfsberechnungen die maßgebende
Rolle spielt, ist kein geeigneter Maßstab für energie- und klimagerechtes
Bauen.
Durch den Gertis Beitrag, als Skript auf der Veranstaltung verteilt, wurden
diese in [1] und [2] dargelegten Fakten nun eindrucksvoll untermauert.
Das in [1] veröffentlichte Diagramm, das die auf der Rückseite
einer 4 cm dicken Probe gemessenen Anfangstemperaturen und die nach 10 Minuten
erreichten Oberflächentemperaturen geradlinig verbindet, wird zwar einmal
beanstandet (die beiden Meßpunkte "Start" und "10 Minuten" werden durch
eine Gerade verbunden, also Linearität unterstellt - was einen weiteren
Fehler darstellt), doch zum anderen auch als richtig angesehen.
Hierzu heißt es dann: “In diesem winzigen Zeitfenster ergeben sich
in der Tat die linearisierten Gradienten. Die Messung selbst dürfte
deshalb im Rahmen der sonstigen Meßgenauigkeit sogar richtig sein”.
Es wird also die Richtigkeit der Versuchsergebnisse bestätigt.
Anmerkung: Diese gegensätzlichen Aussagen zeugen von Oberflächlichkeit im Denken.
Die beste Bestätigung der in [1] und [2] gemachten Aussagen liefert
jedoch das im Skript enthaltene Bild 13, das deutlich erkennen läßt:
Maßgebend für die unterschiedlichen Temperaturverläufe in
den verschiedenen Materialien ist die Zeit. Hier wird dann zwischen stationär
(nach langer Zeit) und instationär (unmittelbar nach Einwirken der Temperaturveränderung)
unterschieden:
a) Stationär: Hierzu heißt es im Text: “Erst
nach längerer Zeit wird asymptotisch ein horizontaler Endverlauf, d.
h. der stationäre Endzustand erreicht. Der stationäre Endwert der
Kurven ist von der Wärmeleitfähigkeit, also vom Dämmwert,
abhängig”.
Nun interessiert jedoch nicht der Wärmestrom, der sich “nach langer
Zeit” (im Bild 13 sogar mit der Zeit unendlich angegeben) ergibt, wenn also
im Bauteil der Beharrungszustand, d. h. die gleichmäßige Temperaturverteilung
mit konstantem Wärmestrom, vorliegt, sondern die bei Temperaturveränderungen
unmittelbar auftretenden thermischen Reaktionen.
b) Instationär: Für die Zeit vor dem stationären
Bereich muß vom instationären Zustand ausgegangen werden. Hierzu
heißt es im Text: “Der übrige nichtlineare Kurvenverlauf hängt
nicht von der Wärmeleitfähigkeit
, sondern von der Temperaturleitfähigkeit
ab”.
Dies ist der entscheidende Satz. Im 24 Stunden-Zeitrahmen wird nie die "Temperaturkonstanz",
der stationäre Zustand erreicht. In Realität liegt stets der instationäre
Zustand vor und hier gilt dann die Temperaturleitfähigkeit a, wie von
Gertis selbst angegeben, aber auch das Speichervermögen Qs und der Wärmeeindringkoeffizient
b.
Zusammenfassend heißt es dann im Text: “Der instationäre Aufheizvorgang
ist von der Temperaturleitfähigkeit geprägt, der stationäre
Endzustand hingegen von der Wärmeleitfähigkeit”. Das bedeutet im
Klartext: Alle Berechnungen nur mit der Wärmeleitfähigkeit gelten
lediglich für den “Endzustand”, der aus Zeitgründen aber nie eintritt.
Das Ziel des “Lichtenfelser Experimentes” war es, die unmittelbaren thermischen
Reaktionen unterschiedlicher Materialien bei Aufheizvorgängen (Temperaturveränderungen)
festzustellen. Dies war wichtig, denn die erzielten Ergebnisse zerstören
die weit verbreitete Vorstellung, bei energetischen Fragestellungen sei nur
eine “gute” Dämmung anzustreben. Nein, die Speicherfähigkeit ist
wesentlicher Bestandteil eines klimagerechten Hauses, das den großen
Temperaturveränderungen Widerstand entgegensetzen muß. Nicht der
“stationäre” Zustand nach langer Zeit, sondern der “instationäre”
Zustand sofort nach Einwirken einer Temperaturveränderung ist entscheidend.
Aber gerade dies wird im Text von Gertis moniert, dort heißt es:
”Beim Lichtenfelser Experiment handelt es sich nämlich um einen Aufheizvorgang,
an dessen Ende erst der stationäre Temperatuzustand erreicht worden
wäre. So lange haben die “Experimentatoren” aber nicht gewartet, sondern
den Versuch nach 10 Minuten abgebrochen – was einen Fehler darstellt”.
Wie schon erläutert, stationäre Zustände am Ende von Aufheizvorgängen
zu fixieren, war nicht die Aufgabe - das Rechnen im “Beharrungszustand” ist
ein alter Hut. Da es sich in Realität infolge der Sonneneinstrahlung
stets um Aufheiz- und dann nachts um Abkühlvorgänge im instationären
Bereich handelt, interessiert der stationärer Zustand nicht. Der Fehler
war offensichtlich der, diese Fragestellung überhaupt zu bearbeiten,
da die ermittelten Ergebnisse die üblichen rechnerischen Verfahrengänge
in der Bauphysik ad absurdum führen.
Dieser Gertis`sche Beitrag bestätigt in eindrucksvoller Weise die Fragwürdigkeit
der Positionen, die die "offizielle Bauphysik" vertritt - Beharrungszustand
ist eine Fiktion. Die Formeln in der DIN 4108, die ja den Beharrungszustand
voraussetzen, sind demzufolge hinfällig, sie sind nicht brauchbar. Es
handelt sich um Phantomrechnungen.
Was ist daraus abzuleiten?
Selbst der Versuch, mit Argumenten "Gegenbeweise" zu liefern, endet mit der
Bestätigung der in [1] und [2] gemachten Aussagen.
Ist es nun pure Hilflosigkeit oder bereits das langsame Zurücknehmen fehlerhafter Positionen in der offiziellen Bauphysik?
Oder ist es vielleicht die nach außen hin demonstrierte tolerante Haltung
in Veranstaltungen, die dem Negativ-Image einer doktrinären Haltung
entgegenwirken soll, wobei dann letztendlich doch alles beim Alten bleibt
– Zugeständnisse werden ja als Niederlage empfunden.
Dies würde dann die Grundeinstellung der offiziellen Bauphysik bekräftigen:
“Wir wissen zwar, daß wir vieles falsch machen – aber wir bleiben dabei”.
Wie dem auch sei, die Auseinandersetzung wird spannend und interessant werden.
Claus Meier
[1] Fischer, K.; Köneke, R.+; Lipfert, F.; Meier,
C.; Parsiegla, H.: Temperaturmessung – Dämmstoffe im Vergleich. Bautenschutz
+ Bausanierung 2001, H. 8, S. 9.
[2] Meier, C.: X für ein U; Der U-Wert und seine Brauchbarkeit.
Bautenschutz und Bausanierung (B + B), 2002, H. 6, S. 73.